Zukunftsbuch 2025 - die Bücher

Die Bücher des Jahres ausgewählt von pro zukunft und changeX
Rezensionen: Winfried Kretschmer

Die inspirierendsten Bücher des zurückliegenden Jahres. Ausgewählt von pro zukunft und changeX: Sachbücher, die gesellschaftliche Entwicklungen kritisch reflektieren und neue Zukunftsperspektiven eröffnen. Bücher für zukunftsweisendes Denken. Bücher, die helfen, die Welt im kommenden Jahr 2026 zu verstehen. Hier die ausgewählten Bücher etwas ausführlicher vorgestellt.

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Jedes Jahr stellen wir im Dezember besonders inspirierende und spannende Sachbücher vor, die im ablaufenden Jahr auf unserem Büchertisch gelandet sind. In guter Tradition gemeinsam mit pro zukunft, dem Buchmagazin der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Ziel unserer Kooperation ist dabei: die Perspektivenvielfalt erhöhen, indem wir unsere Sichtweisen zusammenwerfen. In diesem Jahr sind es ganze zwölf Titel geworden, also keine Top Ten, auch nicht die mehrfach erprobte 11er-Liste, obwohl diese ihren eigenen Charme hat. 

Dieses Mal pendelte sich unser Selektionsprozess schnell auf eine breitere Auswahl ein, und mit den gewählten zwölf Titeln haben wir es dann auch dabei belassen. Die Zusammenstellung dieser Bestenliste erfolgte in einem mehrstufigen, sorgfältig kuratierten Verfahren. Zunächst brachten wir in einer ersten Runde unabhängig voneinander insgesamt 24 Titel ein. In mehreren gemeinsamen Durchgängen wurde diese Auswahl dann systematisch verdichtet. Die Liste ist das Ergebnis intensiver Lektüre, sorgfältiger Abwägung und gemeinsamer Diskussion, getragen von hohem Zeitaufwand, Sorgfalt und Engagement. 

Hier ist unsere Auswahl der - unserer Ansicht nach - wichtigsten Titel der Zukunftsliteratur im Jahr 2025. Sortiert sind die Titel dieses Mal alphabetisch nach dem Namen von Autorinnen und Autoren, nicht vom Abstrakten hin zum Konkreten oder nach (gefühlter) Wichtigkeit wie in den vergangenen Jahren.
 

Hier ein längerer Beitrag im Buchumschau-Format mit einer etwas ausführlicheren Vorstellung der ausgewählten Bücher.


Am Ende des Wachstums


Zerstörungslust von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey (Suhrkamp) 

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Zerstörungslust. Ein Buchtitel, der aufhorchen lässt - und mehr noch der Untertitel: "Elemente des demokratischen Faschismus". In ihrem Buch entwickeln Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey eine beunruhigende Analyse der politischen Lage, die den radikalen Rechtsruck der politischen Gegenwart klar und explizit als Faschismus erkennt und in der Sehnsucht nach Destruktion ein Grundmotiv der Akteure und Unterstützer der neurechten Bewegung identifiziert. "Diese Zerstörungslust ist keineswegs nur nihilistisch, sie ist schöpferisch und will aus alten Steinen ein neues Gebäude zusammensetzen, das ewig währt. Sie macht den Kern des demokratischen Faschismus aus", schreiben die Literatursoziologin und der Soziologieprofessor aus Basel. Diese Zerstörungslust ist die treibende Kraft und die verbindende Klammer des demokratischen Faschismus. Denn es handele sich keineswegs um eine einheitliche Bewegung, sondern "er umfasst ein breites, hybrides Spektrum" von Akteuren, die weit weniger organisiert und zentralisiert sind wie ihre historischen Vorläufer. 

Überhaupt hilft der Rückgriff auf den alten, historischen Faschismus wenig weiter, wenn es darum geht, das Bild dieses neuen Faschismus zu verstehen, das Amlinger und Nachtwey entwerfen. Das führt zum zentralen Thema des Buchs: Es geht "nicht darum, dass der Faschismus notwendigerweise als politische Gewaltherrschaft wiederkehren wird, sondern darum, dass er bereits jetzt als faschistische Fantasie in der Demokratie existiert und Anhänger:innen findet". Während der historische Faschismus die Demokratie offen bekämpfte, ist der demokratische Faschismus in der Demokratie verankert und versteht sich als ihr Erneuerer. Sein Ziel ist es, die liberale Demokratie zu überwinden, den Markt zu entfesseln und so technologischen Fortschritt und eine neue kapitalistische Dynamik in Gang zu setzen. Gleichzeitig untergräbt er ihre Grundlagen; dies ist seine Strategie, zu der auch ein destruktiver Zynismus und "ein lustvolles, ja frivoles Unterlaufen von Wahrheitsansprüchen" gehören. Gestützt auf ein empirisches Forschungsprojekt mit zahlreichen Interviews wollen die beiden Soziolog:innen "das Aufkommen des Faschismus als Folge des sozialen Wandels erklären", statt mit der Anziehungskraft nationalistischer Demagogen. Auch Amlinger und Nachtwey registrieren einen gesellschaftlichen Bruch in der Spätmoderne, der sich "mit dem Ende des Wachstums" und dem Auslaufen der langen Prosperitätsphase der Nachkriegszeit eingestellt hat, so ihre Diagnose. Die Folge: Verlusterfahrungen, enttäuschte Hoffnungen, sozialer Abstieg. Und: Die "Grammatik sozialer Konflikte" verändert sich. 

Was also tun? Amlinger und Nachtwey plädieren für einen postliberalen Antifaschismus und "eine Gesellschaft, die sich ehrlich mit den Herausforderungen auseinandersetzt, vor denen wir heute stehen: Ungleichheit und einem verbreiteten Gefühl mangelnder Teilhabe, nachlassendem Wachstum und den ökologischen Grenzen des fossilen Kapitalismus". Und sie sagen klar: "Faschistischen Mythen muss man die Vision einer Gesellschaft gegenüberstellen, die das Leben bejaht und Lust auf Teilhabe macht."


Blick von überall her


Wie die Welt denkt von Julian Baggini (C.H.Beck) 

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"Eines der großen unerklärlichen Wunder der Menschheitsgeschichte besteht darin, dass die geschriebene Philosophie in verschiedenen Teilen der Welt mehr oder weniger gleichzeitig und völlig unabhängig voneinander entstanden ist." Zweifellos ein beeindruckender Gedanke, den Julian Baggini an den Anfang seines Buches stellt. Diesem Wunder zum Trotz ist das, was bansprucht, Philosophie zu sein, nur ein kleinerer Ausschnitt aus diesem großen Ganzen. "Trotz all der Vielfalt und des Reichtums der philosophischen Traditionen auf der Welt wird die westliche Philosophie (…) als universale Philosophie dargestellt: als die ultimative Untersuchung menschlichen Verstehens", schreibt der Autor, der eben diese westliche Philosophie 30 Jahre lang studiert hat und der "in letzter Zeit (und mit einiger Verspätung)" die großen klassischen Philosophien aus dem Rest der Welt entdeckt und von Kontinent zu Kontinent gereist ist, um sie zu studieren. Baggini beleuchtet die klassischen Philosophien Indiens, Chinas und Griechenlands und widmet sich auch Kulturen, in denen, wie er schreibt, "etwas erkennbar Philosophisches mündlich überliefert wurde". Dieses Denken bezeichnet er als "mündliche Philosophien". Das Kondensat dessen, was er dabei lernen durfte, ist in der Tat beeindruckend. Sein Buch versteht sich als "eine selektive Geschichte der globalen Philosophie, die die oft verborgenen Fundamente ausgräbt, auf deren Grundlage die Welt heute denkt". 

Das in einer Rezension darstellen zu wollen, in einer solch kurzen zumal, ist schlicht nicht möglich. Deshalb entspricht es der Intuition und der Vernunft gleichermaßen, wenn ich mich auf eine zentrale Erkenntnis beschränke, die der Autor gewonnen hat. Am Ende seines 440 Seiten umfassenden Werks kommt er noch einmal auf das Thema Objektivität zu sprechen. Seine Erkenntnis: Wir müssen die Idee des Blicks von nirgendwo aufgeben und akzeptieren, dass ein Blick immer von irgendwoher kommt - und anstelle dieses einen Blicks nach Ansichten von überall her suchen. Es gelte, von dem "fehlgeleiteten Ideal einer ortlosen Universalität" Abstand zu nehmen und die Vorteile zu nutzen, die sich aus der Einnahme verschiedener geistiger Orte ergeben. Baggini nennt drei Wege, durch die Einnahme multipler Perspektiven ein besseres Verständnis zu erlangen. Er unterscheidet eine kubistische, eine aufschlüsselnde und eine pluralistische Perspektive. Hier die kurze Essenz zitiert: "Die kubistische Perspektive lässt uns das ganze, einzelne Bild besser sehen, indem wir es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Die aufschlüsselnde Perspektive lässt uns erkennen, dass das, was wir zunächst für ein einziges Problem hielten, in Wirklichkeit aus mehreren verschiedenen Problemen besteht. Die pluralistische Perspektive lässt uns feststellen, dass es in Bezug auf Ethik und Politik keinen einzigen übergeordneten Wert oder eine Reihe von Werten geben kann, die zu jeder Zeit und an jedem Ort passen." Ein großartiges Buch, das mit der grotesken Überheblichkeit und vermeintlichen Überlegenheit der westlichen Philosophie (und vieler ihrer Vertreter) aufräumt und in der Vielzahl der Orte unserer Welt eine schlüssige Metapher für eine Erweiterung menschlichen Denkens findet.


Stabilisierung ist möglich


Die Exponentialgesellschaft von Emanuel Deutschmann (Suhrkamp) 

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Es ist ein geradezu ikonisches Bild. Ein Bild, das für die neue Zeit steht, die wir wahrscheinlich noch gar nicht richtig begreifen. Es zeigt ein Dutzend kleine, einfache Grafiken, jeweils nur X- und Y-Achse, alle mit einer extrem steil ansteigenden Kurve. Jede steht für eine globale Entwicklung, und alle wachsen sie exponentiell. Eine Variante dieses 2004 erstmals veröffentlichten Bildes findet sich im Buch von Emanuel Deutschmann, das den Titel Die Exponentialgesellschaft trägt. Es ist ein weiterer Versuch, die neue Form unserer Gesellschaft auf einen Begriff zu bringen. "Mein Vorschlag, die globale Gesellschaft heute als Exponentialgesellschaft zu begreifen", schreibt Deutschmann, "beruht auf der Beobachtung, dass im 21. Jahrhundert exponentielles Wachstum zentrale Bereiche dergestalt prägt, dass es den Fortbestand dieser Gesellschaft nicht nur in ihrer bisherigen Form, sondern überhaupt in Frage stellt." 

Und genau hier, mit dem exponentiellen Wachstum, beginnen auch die Schwierigkeiten, diese These zu begreifen. Deshalb stellt der Autor eine ausführliche Erläuterung an den Anfang seines Buchs, hier kurz referiert: Während bei linearem Wachstum pro Zeiteinheit eine konstante absolute Menge hinzukommt, zeichnet sich exponentielles Wachstum durch gleichbleibende Wachstumsraten aus. Es geht um prozentuale Veränderungen, und weil diese sich "stets auf die im vorherigen Zeitabschnitt bereits gewachsene Bestandsgröße beziehen, kommt es zu immer größeren absoluten Zunahmen". Der Blick konzentriert sich jedoch in der Regel auf die Wachstumsrate, nicht auf die Bestandsgröße. Exponentielle Entwicklungen finden daher "gesamtgesellschaftlich weitgehend unbeobachtet statt". 

Das Neue an Deutschmanns Ansatz ist nun, dass er exponentielle Entwicklungen nicht mehr nur nebeneinanderstellt, sondern die Form dieses Wachstums als Grundmuster gesellschaftlicher Entwicklung begreift. Von einer Exponentialgesellschaft sei dann zu sprechen, "wenn drei Kriterien erfüllt sind: wenn (erstens) "gleich mehrere zentrale Bereiche stark von exponentiellen Entwicklungen geprägt sind"; wenn (zweitens) "die massiven Veränderungen der Bestandsgrößen fundamentale Bedeutung erlangen und den Status quo herausfordern", also zu krisenhaften Entwicklungen führen; und wenn (drittens) "die exponentiellen Veränderungen in den einzelnen Bereichen nicht unabhängig voneinander stattfinden". Deutschmann spricht hier von einem "Syndrom der Exponentialität": "Scheinbar getrennte Bereiche sind durch ein engmaschiges Geflecht von Wechselwirkungen zwischen diesen Entwicklungen miteinander verwoben." 

Diese verflochtenen Entwicklungen, der Syndromcharakter, ist das entscheidend Neue. Hinzu kommt: Deutschmann listet nicht nur die üblichen Entwicklungstrends im Erdsystem auf, sondern weitet den Blick. Mehr als achtzig Entwicklungstrends hat er in seine Untersuchung einbezogen, auf die alle, wie er schreibt, das Muster exponentieller Entwicklung zutreffe. Das heißt, er identifiziert die exponentielle Entwicklung als eine "allgegenwärtige Steigerungdynamik", die sich somit auch nicht allein auf den Kapitalismus zurückführen lasse. "Der Mehr-bringt-Mehr-Mechanismus ist noch basaler als der Kapitalismus, er kennzeichnet weitere Bereiche, die zwar mit der Wirtschaft verflochten sind, aber zugleich auf diese zurückwirken." Diese spezifische Form des Wachstums ist das zentrale Merkmal der Exponentialgesellschaft. 

Extrem deutlich wird das "zukunftsgefährdene Desaster", das in dieser Ballung exponentieller Entwicklungen steckt. Dieses selbstverstärkende Wachstum zu brechen, ist die entscheidene Zukunftsaufgabe. Stabilisierung - nicht Anpassung - identifiziert Deutschmann als "das zentrale Ordnungsproblem unserer Zeit" Und er zeigt, dass (trotz alledem) "eine solche Stabilisierung auch möglich ist".


Nach der Dystopie


Zukunft ohne Angst von Isabella Hermann (oekom) 

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"Dystopien boomen" notiert Isabella Hermann gleich am Anfang ihres Buches. Nicht nur als literarisch-künstlerisches Genre erlebte die Dystopie einen bemerkenswerten Aufstieg, auch das Wort "dystopisch" wird zunehmend benutzt, um die reale Welt der Gegenwart zu beschreiben. Waren Utopien ursprünglich Entwürfe besserer oder gar perfekter Welten, beschreibt die Dystopie als Gegenbegriff fiktionale Gesellschaften, geprägt von autoritärer Herrschaft, Machtmissbrauch, Überwachung und Unterdrückung und wirft somit einen pessimistischen Blick in die Zukunft. Die wachsende Bedeutung dieses Begriffs hat sicherlich mit den Multikrisen unserer Zeit zu tun, aber auch mit dem Erlahmen utopischer Energien. Utopien haben ihre Strahlkraft verloren, auch weil sie häufig ins Totalitäre abdrifteten und elitär und exklusiv angelegt waren. 

Die Politologin und Science-Fiction-Expertin Isabella Hermann hat nun ein neues, drittes Genre identifiziert: die Anti-Dystopie. Diese setzt genau am Fatalismus und der Mutlosigkeit im Angesicht des Anthropozäns und der Mehrfachkrise der Gegenwart an und "führt uns die nahe Zukunft des für uns noch nicht oder nur schwer Realisierbaren bildhaft vor Augen". Sie zeigt aber auch (oder doch): "Wenn wir die Katastrophe schon nicht gänzlich verhindern können, haben wir immer noch die Möglichkeit des Widerstands." Anders als die Utopie zeichnet sie aber kein idealisiertes Zukunftsbild. Sondern führt vor Augen, "dass es in einer komplexen Welt keine einfachen Lösungen gibt, dass sich aber der Einsatz für Verbesserungen lohnt". Die Anti-Dystopie spiegelt somit die aktuelle Wendung im Verständnis von Transformation: vom Modell einer politisch-administrativ geplanten und top-down durchgeführten hin zu einer kleinteiligen, aus der Gesellschaft heraus entstehenden Transformation.


Das Fürsorgeparadox


Unter Wert von Emma Holten (dtv) 

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Die Verengung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit im Zuge der Industrialisierung erzeugt die wohl folgenreichste Paradoxie der Arbeit. Denn dadurch wurden Tätigkeiten, die zuvor ganz selbstverständlich als Arbeit gegolten hatten, nicht mehr als solche anerkannt: vor allem die von Frauen geleistete Arbeit in Haus und Küche, die Sorge für Familie und Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen bei Krankheit und im Alter. Wie es zu dieser Verengung des Arbeitsbegriffs kommen konnte, kommt erst nach und nach ans Licht. Zu dominant und scheinbar alternativlos war das herrschende produktivistische Arbeitsparadigma. Einen wichtigen Beitrag zur Klärung leistet nun Emma Holten, die als Beraterin für Geschlechterpolitik tätig ist und sich seit Jahren intensiv mit feministischer Ökonomie beschäftigt. In ihrem Buch Unter Wert beleuchtet die Autorin die Geschichte dieses exklusiven Arbeitsverständnisses, das fürsorgende Tätigkeiten nicht als Arbeit anerkannte, sie abwertete und damit entwertete - bis sie in der realen Ökonomie, wenn überhaupt, dann unter Wert vergütet wurden. Beginnend bei Thomas Hobbes, John Locke und Adam Smith beschreibt die Autorin, wie diese in erster Linie von Frauen geleistete Arbeit nicht gesehen und in den frühen, grundlegenden wirtschaftswissenschaftlichen Texten dann ausgeblendet wurden. 

Besonderes Augenmerk legt Holten auf die Entstehung und Formierung der ökonomischen Disziplin, ihre Fixierung auf ein mechanistisches Weltverständnis sowie ihre Leidenschaft für mathematische Modellbildung. Dieses mechanistische Welt- und Wissenschaftsverständnis blendete grundlegende Fragen aus - wie zum Beispiel danach, wie eine Wirtschaft zum erforderlichen Nachschub an Arbeitskräften kommt, von Marx später die "Reproduktion der Arbeitskraft" genannt. Das ist der zentrale Punkt für Emma Holten: "Kein Mensch kann ohne die Fürsorge anderer Menschen existieren, und darum ist Fürsorgearbeit die Arbeit, die alles andere Arbeiten überhaupt erst ermöglicht." Dennoch blieb diese Arbeit ausgeblendet. Das wiederum verbindet Fürsorge mit der Natur: So wie natürliche Rohstoffe unbegrenzt und kostenlos zur Verfügung zu stehen schienen, wurde in der Wirtschaftstheorie auch Fürsorge absolut gesetzt: "Fürsorge wird als eine unbegrenzte Ressource betrachtet", resümiert die Autorin. Dies führte zu einer paradoxen Situation, die bis heute besteht: "Auf der einen Seite gilt Fürsorge als wertlos, auf der anderen Seite wäre ohne sie keine andere Arbeit möglich." Das trifft in erster Linie die Frauen, letztlich aber die gesamte Gesellschaft, die damit leben muss (und daran krankt), dass Reproduktion und Fürsorgearbeit in der wirtschaftlichen Wertbestimmung nicht vorkommen. Eine feministische Ökonomie, ,so Holten, basiere eben genau darauf: auf all dem, was erforderlich ist, "um Menschen gesund, glücklich und am Leben zu erhalten".


Abpflastern bis Wiedervernässen


Werkzeugkasten der Zukunft (Katapult Verlag) 

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Dieses Praxisbuch will zeigen, "dass ein gutes Leben für alle möglich ist - wenn wir bereit sind, Innovationen zu nutzen und uns ganz persönlich genauso wie als Weltgemeinschaft nachhaltig weiterzuentwickeln". Bei ihren Recherchen sind die Autor:innen des Katapult-Verlags, wie sie schreiben, "oft aus dem Staunen nicht herausgekommen". Sie entdeckten beinahe "umstürzlerische neue Wirtschaftskonzepte" ebenso wie "kleine lokale Initiativen mit großen Auswirkungen", die sie in mutmachenden Texten beschrieben haben. Zusammengekommen sind 150 innovative Ideen, zusammengestellt in acht Themenfeldern und - das Markenzeichen des Verlags - illustriert mit aufwendigen Infografiken. 

Vier Ideen kurz angerissen: "Abpflastern" meint das Entsiegeln betonierter, asphaltierter, zugepflasteter oder anderweitig befestigter Flächen, mancherorts nach holländischen Vorbild in Form kommunaler Wettbewerbe praktiziert; die Sanitärwende in Form der Weiterverwendung menschlicher Fäkalien zur Herstellung von Düngemitteln; "Beaver Bombing", also die Nutzung der Bautätigkeit von Bibern zur Wiedervernässung und Renaturierung von Mooren und Feuchtgebieten; oder die sog. "Paludikultur", ein Begriff, der sich vom lateinischen palus, "Morast, Sumpf" herleitet und die landwirtschaftliche Nutzung nasser oder wiedervernässter Flächen bezeichnet, etwa durch den Anbau von Schilf, Binsen, Moosen, Erlen oder die Haltung von Wasserbüffeln. Das Buch zeigt, dass und wie die Menschen vor Ort auch ohne sozialökologische Transformation von oben die Klimawende angehen können. Ein tolles Buch, absolut inspirierend und nachahmenswert.


Wasser neu denken


Sind Flüsse Lebewesen? von Robert Macfarlane (Ullstein) 

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Sind Flüsse Lebewesen? Was für eine Frage, was für ein Buchtitel! Robert Macfarlane, einer der bekanntesten Naturschriftsteller unserer Zeit, macht darin den rechtlichen Schutzstatus von Flüssen zum Thema und verschafft ihm Gewicht in der internationalen Debatte um Klima-, Natur- und Artenschutz. Sein Buch ist nur zu einem kleinen Teil Sachbuch - die sachlichen Fragen werden auf etwas mehr als 20 Seiten abgehandelt -, im Mittelpunkt der übrigen gut 300 Seiten steht die Schilderung dreier Reisen in den ecuadorianischen Nebelwald, nach Südostindien und nach Kanada. "An allen drei Orten", schreibt Macfarlane, wurde die Beziehung des Menschen zur Natur "auf revolutionäre Weise neu gedacht." Hier wurde juristisches Neuland betreten, indem Flüssen der Status einer juristischen Person zugebilligt wurde. Der Autor schildert eindrucksvoll den Kampf für die Rechte und gegen die Zerstörung von Flüssen und Flusslandschaften in den drei Landstrichen. Dabei mischt er sich nicht in die natur- und systemwissenschaftlichen Debatten um die Definition von Leben und Lebewesen ein, sondern beschränkt sich auf den juristischen Status von natürlichen Systemen. 

In indigenen Weltbildern galt die Natur als belebt, doch mit der Durchsetzung des westlichen Rationalismus wurde ihr dieses Eigenleben aber systematisch ausgetrieben. Natur wurde reduziert auf den Status eines unbelebten Rohstoffs. Erst die zunehmende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen ließ Zweifel wachsen. "Haben Bäume Rechte?", fragte eine Publikation in den 1970er-Jahren. Gut vier Jahrzehnte später griff dann Jacinta Ruru, Rechtsgelehrte der Mãori, diese Idee auf - mit Erfolg. 2017 wurde der Fluss Whanganui als lebendes Wesen und als juristische Person anerkannt. Seither haben weltweit immer wieder Gerichte für den Schutz von Flüssen entschieden. Dem schließt sich Macfarlane an: "Ich möchte ebenfalls von Flüssen und Wäldern als Personen sprechen." 

Seine Reiseschilderungen zu den Flüssen und ihren Ursprüngen sind ein packendes Plädoyer für ein neues Naturverständnis. Sein auch konzeptionell in der Kombination von Sachbuch und Nature Writing wegweisendes Buch "unternimmt den Versuch, Wasser neu zu denken". Das gelingt auf ebenso fesselnde wie berührende Weise.


Wie - bei uns?


Klassengesellschaft akut von Nicole Mayer-Ahuja (C.H.Beck) 

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Für lange Zeit galt als ausgemacht: Die Klassenfrage ist in der bundesrepublikanischen Gesellschaft kein Thema mehr. Die Klassenzugehörigkeit bestimmt nicht mehr über die Zuweisung von Lebenschancen, weil die sozialen Schichten in der Gesellschaft durchlässig geworden sind. Der Gegensatz von Kapital und Arbeit hat seine prägende Kraft verloren. Das war nicht nur politischer Grundkonsens, der die Volksparteien einte, sondern auch die Mehrheitsmeinung in der Soziologie. Doch das hat sich geändert. Seit die soziale Ungleichheit deutlich zugenommen hat, ist das Thema Klassengesellschaft wieder akut, sagt die Soziologin Nicole Mayer-Ahuja. Sie widmet der Klassenfrage ihr neues Buch und unterstreicht deren Dringlichkeit: Klassengesellschaft akut lautet der Titel. 

Ihr Buch zeigt, dass die alte Konfliktlinie keineswegs irrelevant geworden ist. Die Göttinger Soziologin wirft vielmehr die Frage auf, "warum in einer Gesellschaft, die angeblich immer individueller, vielfältiger und bunter wird, eine schroff ungleiche Verteilung von Lebenschancen nicht nur fortwirkt, sondern sogar an Bedeutung gewinnt". Die Antwort lautet schlicht: "Lohnarbeit bleibt Lohnarbeit - die Klassengesellschaft bleibt Klassengesellschaft." Das klingt apodiktisch, doch geht es der Autorin nicht um den alten Antagonismus, sondern vor allem um die neue Form, in der er sich heute präsentiert. "Die arbeitende Klasse … hat immer wieder ihr Gesicht verändert", schreibt sie, und zeichnet die Heterogenität, die Vielgestaltigkeit, die die Arbeitsgesellschaft heute angenommen hat, differenziert nach. Sehr genau beschreibt die Autorin die Erfahrungen der Beschäftigten am Arbeitsplatz in unterschiedlichen Berufsfeldern. So einfach das Klassenmodell gestrickt ist, so differenziert fallen die Befunde aus. Genau das macht die gänzlich unideologische Stärke dieses Buchs aus, das sich nicht zuletzt auch gegen das negative Image wendet, das dem Begriff Klasse in Deutschland - anders als etwa in England und Frankreich - anhaftet.


Eine andere Praxis der Wahrnehmung


Zuhören von Bernhard Pörksen (Hanser) 

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"Hört doch endlich mal zu!" Ein Appell, oft gehört. Die Leute müssten nur mal die Klappe halten und zuhören, heißt es dann - ein nachvollziehbarer Wunsch. Doch so einfach ist es nicht. Nicht nur, weil mit solch pauschalen Zuhör-Appellen zuvorderst die anderen gemeint sind. Sondern auch, weil die Wurzeln des Nichtzuhörens tiefer liegen: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen verortet sie in einem Mediendiskurs, der vorlautes Besserwissen und pauschale Schnelletikettierungen mit Beifall belohnt. Und in einem Denken, das sich im Abstrakten bewegt und vermeintliches Bescheidwissen mehr schätzt als eine sorgsame Urteilsbildung. Für ihn sind es zurechtgelegte Gewissheiten, vorgefertigte Meinungen und vorschnelle Urteile, die, eingebunden in prägende mentale Deutungsrahmen, das Zuhören blockieren. "Viel zu häufig existieren wir im Kokon unserer Vorurteile und im Fertig-System der reflexhaft geäußerten Meinungen, bestätigungssüchtig und darauf fixiert, zu hören, was wir hören wollen, unfähig, den anderen in seiner Andersartigkeit tatsächlich zu erkennen." 

Manchmal aber gelinge die Wahrnehmungsöffnung doch, schreibt der Autor. Wie, davon handelt sein Buch: Es gelte, neu und anders zuzuhören. Behutsam, mit Blick auf den Kontext und dem Bemühen um Genauigkeit. Zuhören steht damit in einem weiteren Sinne für eine Art der Zuwendung zur Welt: als Form der Wahrnehmung, als Erkenntnisprogramm. Pörksens Buch eröffnet behutsam den Blick nach vorn auf eine andere Praxis. Es sei ein Gebot der Stunde, "erst einmal innezuhalten, nachzufragen, zuzuhören, die konkreten Anlässe und die Details zu studieren, um dann, vielleicht unter Verzicht auf die großen, donnernden Worte, ein Urteil zu fällen, das für die je besonderen Verhältnisse gilt, konkret und nuanciert."


Verlusterfahrungen in der Spätmoderne


Verlust von Andreas Reckwitz (Suhrkamp) 

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Wachstum, Wohlstand, stetiger Fortschritt. Das war das Versprechen der Moderne, ihr Narrativ, der Kern ihrer großen Erzählung. Und nun: Verlust. Verlust kommt im Selbstbild der Moderne nicht vor - und das ist ihr blinder Fleck, sagt der Soziologe Andreas Reckwitz. Er identifiziert Verlust als strukturelles Grundproblem der Moderne. Seine Grundthese lautet: "Die Moderne hat ein tiefsitzendes Problem mit Verlusterfahrungen (…), weil diese dem für die Moderne konstitutiven Fortschrittsglauben widersprechen." Dieser grundlegende Widerspruch "zwischen Fortschritt und Verlust, zwischen dem Glauben an den Fortschritt und der Realität von Verlusterfahrungen" sei in die Moderne eingebaut. Denn Verluste durchkreuzen deren Fortschrittsversprechen. 

Das ist aber erst der erste Erkenntnisschritt. Denn dieser Widerspruch erweist sich als Treiber einer eigenen Fortschrittsdynamik, die sich nur als Paradoxie fassen lässt. Die moderne Verlustparadoxie bestehe darin, "dass die westliche Moderne Verluste einerseits hemmt und sie andererseits steigert". Eben weil "Verluste dem Fortschrittsimperativ widersprechen, müssen sie beseitigt und besiegt, müssen sie verhindert oder zumindest minimiert werden". Auf der anderen Seite aber bringt gesellschaftliche Produktivität in der Moderne eben Verluste mit sich - zum Beispiel an Leben, an körperlicher Unversehrtheit, sozialem Status, geordneten Strukturen, an Heimat oder am Glauben an die Zukunft -, und das gilt eben auch für Aktivitäten, die Verluste mindern sollen. Das Verhältnis zwischen Verlustvermeidung und deren Steigerung ist also prekär, unsicher, schwierig, heikel. 

Diese Paradoxie zu begreifen, ist für Reckwitz Voraussetzung dafür, um zu verstehen, was in der Spätmoderne passiert, also der Form der modernen, westlichen Gesellschaft, die sich seit den 1970er-Jahren allmählich und seit Beginn des 21. Jahrhunderts in aller Deutlichkeit ausbildet: "In der Gegenwartsgesellschaft ist die prekäre Balance der Verlustparadoxie dabei, aus dem Gleichgewicht zu geraten", schreibt Reckwitz. Verluste eskalieren, ihre Form und ihre gesellschaftliche Thematisierung ändert sich. Sie rücken ins Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Entscheidend dabei ist, "dass das Fortschrittsversprechen in der Spätmoderne an Glaubwürdigkeit einbüßt" und somit "den Verlusterfahrungen ihr geschichtsphilosophischer Schutzschild abhandenkommt". Das Versprechen, dass alles besser wird, greift nicht mehr.


Gegenwartsverlängerung als Ziel


Systemkrise von Philipp Staab (Suhrkamp) 

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In seinem gleichnamigen, 2022 erschienenen Buch hat der Soziologe Philipp Staab vorgeschlagen, Anpassung als Leitmotiv der nächsten Gesellschaft zu begreifen. Denn, so sein Argument, die Leitideen Fortschritt und Emanzipation träten in den Hintergrund, würden abgelöst von Selbsterhaltung, zum Beispiel in Form der Anpassung an den Klimawandel. In seinem neuen Werk Systemkrise führt er nun diese Gedanken fort. Die zentrale Frage, um die sein Buch kreist, ist, wie die ökologische Transformation der spätmodernen Gesellschaften am Widerstand oder am Desinteresse der Bevölkerung scheitern konnte. Staabs Erklärungsbemühen sucht den Veränderungen in den Lebenswelten und im politischen System auf die Spur zu kommen. Seine These ist, dass die Umweltfrage auf soziologisch noch kaum verstandene Weise den politischen Raum verändert hat. Die Folge: Der Einstellungswandel in der Bevölkerung in der ökologischen Frage geriet in Widerspruch zu den Erneuerungsbestrebungen des Systems. Dies ist der Kern der titelgebenen Systemkrise. 

Philipp Staabs Argument lautet, "dass die Klimafrage den politischen Raum so verändert hat, dass tradierte Formen des Umgangs mit gesellschaftlichen Konflikten über Modernisierung nicht mehr funktionieren, weil nun Ängste um den Fortbestand der modernen Gesellschaft als Ganzer in diesen Auseinandersetzungen mitschwingen". Ausschlaggebend ist also eine "Umpolung zentraler kultureller Orientierungen", die einhergeht mit einer defensiven Erstarrung der Lebenswelten. Nicht die Transformation stehe im Mittelpunkt, vielmehr ist "Gegenwartsverlängerung" das Ziel, eine "Fortsetzung der Verhältnisse", geleitet von Selbsterhaltung als dem entscheidenden Grundmotiv. Nach dem Wegbrechen der Transformation als Orientierung wird politisches Handeln situativ. Politische Handlungsfähigkeit hänge nunmehr an der Fähigkeit, günstige Gelegenheiten nutzen zu können. "An die Stelle einer Politik der Modernisierung tritt eine Politik der Kipppunkte."


Was KI nicht kann


Weiß die KI, dass sie nichts weiß? von Katharina Zweig (Heyne) 

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KI-Agenten sind, so heißt es, das nächste große Ding in der Entwicklung künstlicher Intelligenz. Software also, die nicht nur Texte generiert, sondern definierte Aufgaben automatisiert und eigenständig erledigen kann. Eine Reise buchen zum Beispiel oder andere komplexe, mehrstufige Aufgaben und Prozesse abarbeiten. Nur, ist die KI schon reif für KI-Agenten? Eine offene Frage, denn die Zweifel an den bisherigen KI-Modellen sind noch längst nicht ausgeräumt. Dennoch gilt KI als vermeintlich allwissende Antwortmaschine. Doch was KI kann, welche Qualität die Ergebnisse haben - und vor allem: was KI nicht kann, ist keineswegs klar. Solchen grundlegenden Fragen widmet sich die Informatikprofessorin und KI-Expertin Katharina Zweig in ihrem neuen Buch. Sie möchte "eine Intuition dafür entwickeln, was Sprachmodelle zuverlässig erledigen können". Das beginnt damit, zu wissen, was Sprachmodelle sind und was sie tun - eine Frage, die die Autorin sehr klar beantwortet: Sprachmodelle wie ChatGPT modellieren, "wann wir welches Wort in welchem Kontext mit welcher Wahrscheinlichkeit verwenden". Sie berechnen "nur die Wahrscheinlichkeit des nächsten Wortes für einen Text, der ihnen als Prompt gegeben wird". Grundsätzlich formuliert bedeutet das: "Die Maschine weiß nicht, was sie tut. Sie ist nicht ‚die KI‘ mit einer allumfassenden Intelligenz, sie hat keine kommunikative Absicht, wenn sie Texte generiert, und kein Bewusstsein. Sie hat noch nicht einmal allumfassendes Wissen, auch wenn viele der generierten Sätze korrekt sind." Sie kann auch nicht nachdenken, und sie weiß nicht, wie sie Texte erzeugt, und kann dies auch nicht wissen. 

Hinzu kommt: KI-Systeme neigen dazu, zu halluzinieren. Der korrekte Begriff, so Zweig, laute "Konfabulation", verstanden als "Generieren von Texten, die eindeutig falsch sind". Das passiere bei Sprachmodellen regelmäßig, ganz einfach deshalb, weil sie (erstens) nicht zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden können, (zweitens) keine zuverlässigen Denkprozesse haben, um sicherzustellen, dass ihre Schlussfolgerungen korrekt sind, und sie (drittens) unfähig sind, ihre eigenen Aussagen zu überprüfen, wie Zweig einen Experten zitiert. Nüchtern betrachtet, handele es sich um eine Software, die für einige Aufgaben sehr gut geeignet sei und für andere nicht. Dies aber ist nicht leicht abzuschätzen - und jede Behauptung einer KI prüfen zu wollen, wird schnell zu einem aufwendigen Unterfangen. Hier wird die Intuition zentral, die Katharina Zweig entwickeln möchte. Eine Intuition, was KI kann und was nicht, und wobei sie hilfreich sein kann. Dabei, dieses Gespür zu entwickeln, kann eine einfache Regel helfen, die die Autorin anbietet: "Alles, was man schneller überprüfen als schreiben kann, ist … eine exzellente Aufgabe für Sprachmodelle." Und KI-Agenten? Finger weg davon, sagt Katharina Zweig. 

 

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Zitate


"Diese Zerstörungslust ist keineswegs nur nihilistisch, sie ist schöpferisch und will aus alten Steinen ein neues Gebäude zusammensetzen, das ewig währt. Sie macht den Kern des demokratischen Faschismus aus." Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey: Zerstörungslust

"Dass viele Menschen den Eindruck gewinnen, die Zukunft halte keine Verbesserungen mehr bereit, verändert die Grammatik sozialer Konflikte." Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey: Zerstörungslust

"Faschistischen Mythen muss man die Vision einer Gesellschaft gegenüberstellen, die das Leben bejaht und Lust auf Teilhabe macht." Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey: Zerstörungslust

"Trotz all der Vielfalt und des Reichtums der philosophischen Traditionen auf der Welt wird die westliche Philosophie (…) als universale Philosophie dargestellt: als die ultimative Untersuchung menschlichen Verstehens." Julian Baggini: Wie die Welt denkt

"Mein Vorschlag, die globale Gesellschaft heute als Exponentialgesellschaft zu begreifen, beruht auf der Beobachtung, dass im 21. Jahrhundert exponentielles Wachstum zentrale Bereiche dergestalt prägt, dass es den Fortbestand dieser Gesellschaft nicht nur in ihrer bisherigen Form, sondern überhaupt in Frage stellt." Emanuel Deutschmann: Die Exponentialgesellschaft

"Und doch gibt es einen neueren, bisher wenig beachteten Erzähltyp, der sich dystopischen Gesellschaftsformen entgegenstellt, ohne von einer unerreichbaren Utopie zu träumen, und so als Ausdruck des Widerstands gegen eine negative Zukunft gelten kann: die Anti-Dystopie." Isabella Hermann: Zukunft ohne Angst

"Wenn wir die Katastrophe schon nicht gänzlich verhindern können, haben wir immer noch die Möglichkeit des Widerstands." Isabella Hermann: Zukunft ohne Angst

"Kein Mensch kann ohne die Fürsorge anderer Menschen existieren, und darum ist Fürsorgearbeit die Arbeit, die alles andere Arbeiten überhaupt erst ermöglicht." Emma Holten: Unter Wert

Das Fürsorgeparadox: "Auf der einen Seite gilt Fürsorge als wertlos, auf der anderen Seite wäre ohne sie keine andere Arbeit möglich." Emma Holten: Unter Wert

"Ein gutes Leben für alle ist möglich - wenn wir bereit sind, Innovationen zu nutzen und uns ganz persönlich genauso wie als Weltgemeinschaft nachhaltig weiterzuentwickeln." Katapult: Werkzeugkasten der Zukunft

"Ich möchte ebenfalls von Flüssen und Wäldern als Personen sprechen." Robert MacFarlane: Sind Flüsse Lebewesen?

"Lohnarbeit bleibt Lohnarbeit - die Klassengesellschaft bleibt Klassengesellschaft." Nicole Mayer-Ahuja: Klassengesellschaft akut

"Die arbeitende Klasse … hat immer wieder ihr Gesicht verändert." Nicole Mayer-Ahuja: Klassengesellschaft akut

"Eigentlich wäre es ... ein Gebot der Stunde, erst einmal innezuhalten, nachzufragen, zuzuhören, die konkreten Anlässe und die Details zu studieren, um dann, vielleicht unter Verzicht auf die großen, donnernden Worte, ein Urteil zu fällen, das für die je besonderen Verhältnisse gilt, konkret und nuanciert." Bernhard Pörksen: Zuhören

"Die Moderne hat ein tiefsitzendes Problem mit Verlusterfahrungen. Verlust ist ein Grundproblem der Moderne." Andreas Reckwitz: Verlust

"Ob es um die Folgen des Klimawandels geht oder die Verfestigung negativer Zukunftserwartungen, um postindustrielle Modernisierungsverlierer oder um den Umgang mit historischen Wunden, um den Umgang mit individueller Verletzlichkeit, den Populismus, die Nostalgie oder die Resilienz: Verluste sind im Zentrum der Spätmoderne angekommen." Andreas Reckwitz: Verlust

"In die Moderne ist ein grundlegender Widerspruch zwischen Fortschritt und Verlust, zwischen dem Glauben an den Fortschritt und der Realität von Verlusterfahrungen eingebaut." Andreas Reckwitz: Verlust

Philipp Staab argumentiert, "dass die Klimafrage den politischen Raum so verändert hat, dass tradierte Formen des Umgangs mit gesellschaftlichen Konflikten über Modernisierung nicht mehr funktionieren, weil nun Ängste um den Fortbestand der modernen Gesellschaft als Ganzer in diesen Auseinandersetzungen mitschwingen." Philipp Staab: Systemkrise

"Nicht die transformative Zukunft, sondern Gegenwartsverlängerung bildet das eigentliche Motiv." Philipp Staab: Systemkrise

"An die Stelle einer Politik der Modernisierung tritt eine Politik der Kipppunkte." Philipp Staab: Systemkrise

"Die Maschine weiß nicht, was sie tut. Sie ist nicht ‚die KI‘ mit einer allumfassenden Intelligenz, sie hat keine kommunikative Absicht, wenn sie Texte generiert, und kein Bewusstsein. Sie hat noch nicht einmal allumfassendes Wissen, auch wenn viele der generierten Sätze korrekt sind. Es handelt sich um ein KI-System, das für einige Aufgaben sehr gut geeignet ist und für andere nicht." Katharina Zweig: Weiß die KI, dass sie nichts weiß?

 

changeX 18.12.2025. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zu den Büchern

: Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 464 Seiten, 30 Euro (D), ISBN 978-3-518-43266-2

Zerstörungslust

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: Wie die Welt denkt. Eine globale Geschichte der Philosophie, übersetzt von Frank Lachmann, Karin Schuler und Thomas Stauder. Verlag C.H.Beck, München 2025, 442 Seiten, 34 Euro (D), ISBN 978-3-406-83094-5

Wie die Welt denkt

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: Die Exponentialgesellschaft. Vom Ende des Wachstums zur Stabilisierung der Welt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 442 Seiten, 32 Euro (D), ISBN 978-3-518-43223-5

Die Exponentialgesellschaft

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: Zukunft ohne Angst. Wie Anti-Dystopien neue Perspektiven eröffnen. oekom Verlag, München 2025, 120 Seiten, 19 Euro (D), ISBN 978-3-98726-151-0

Zukunft ohne Angst

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: Unter Wert. Warum Care-Arbeit seit Jahrhunderten nicht zählt, aus dem Dänischen von Marieke Heimburger. Verlag dtv, München 2025, 288 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-423-28464-6

Unter Wert

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: Werkzeugkasten der Zukunft. 150 innovative Ideen für eine bessere Welt. Katapult Verlag, Greifswald 2025, 192 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-68972-006-3

Werkzeugkasten der Zukunft

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: Sind Flüsse Lebewesen?. aus dem Englischen von Frank Sievers und Andreas Jandl. Ullstein Buchverlage, Berlin 2025, 416 Seiten, 29.99 Euro (D), ISBN 978-3-550202506

Sind Flüsse Lebewesen?

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: Klassengesellschaft akut. Warum Lohnarbeit spaltet - und wie es anders gehen kann. Verlag C.H.Beck, München 2025, 279 Seiten, 26 Euro (D), ISBN 978-3-406-83783-8

Klassengesellschaft akut

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: Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. Hanser Verlag, München 2025, 336 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-446-28138-7

Zuhören

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: Verlust. Ein Grundproblem der Moderne. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 463 Seiten, 32 Euro (D), ISBN 978-3-518-58822-2

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: Systemkrise. Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 221 Seiten, 18 Euro (D), ISBN 978-3-518-12823-7

Systemkrise

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: Weiß die KI, dass sie nichts weiß?. Wofür wir Chatbots und KI-Agenten nutzen sollten, wo sie sich irren und wo wir aufpassen müssen. Heyne Verlag, München 2025, 272 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-453-21907-6

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.

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